Büttenpapier, Grafit, je 75 x 48 cm
Wege in einer filmischen Form erfahrbar machen
Fotografische Aufnahmen mitten aus dem Alltag – und doch sprechen sie uns unmittelbar an und hinterlassen Spuren in uns…
1) Ottersbach/Schadt (Hg.), Kamerabekenntnisse Copyright by UVK 2008


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Diese Ambivalenz von Aktiv und Passiv
Interview mit Tom Fährmann
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Was bedeutet dir diese Arbeit in deinem Werk, wo knüpft sie an?
Brigitte Schwacke hatte mir von tracks and traces erzählt, und wir haben gemeinsam darüber nachgedacht, wie das Ergebnis und der Prozess der Herstellung vielleicht in einem Projekt erlebbar gemacht werden kann. Ich war als Kameramann immer wieder Teil von Videoarbeiten im Kunstbereich, u.a. mit Jo Marie Lafontaine, mit M+M hier in München und mit Herbert Nauderer. Auch Brigitte Schwacke habe ich schon in anderen Zusammenhängen bei filmischen Arbeiten unterstützt. Mir ermöglicht diese Arbeit an Kunstproduktionen, die häufig einer ganz anderen Dramaturgie und Grammatik folgen, als ich das von Spielfilmen her gewohnt bin, immer wieder neue Erfahrungen mit dem Bild, seiner Bedeutung und Wirkung.
Wie siehst du deine Arbeit vor dem Hintergrund der Pandemie?
Tracks and traces setzt sich dem Zufälligen bewusst aus. Brigitte Schwacke hat einen Rahmen gesetzt, eine Mechanik erdacht, die einen bildnerischen Prozess während eines definierten Ganges „in Gang“ setzt, sein Ergebnis aber nicht determiniert. In Abhängigkeit von Zeit und Gelände entstehen Zeichnungen, die bewusst das präzise künstlerische Wollen, den genauen Plan unmöglich machen und mit der „Musik des Zufalls“ spielen. Das Projekt akzeptiert, dass unser Leben nicht allein in unserer Hand liegt. Vielleicht werden wir nicht beherrscht, aber herrschen tun wir gewiss auch nicht. Diese Ambivalenz von Aktiv und Passiv, von im Griff Haben und Ergriffen Werden, diese Ambivalenz, die wir in der Pandemie ja ganz deutlich spüren, ist Thema von tracks and traces.
Wie siehst du deine Arbeit im Zusammenspiel mit der Arbeit deiner Kollegin (die in einer anderen künstlerischen Sparte tätig ist)?
Mein Beitrag ist eine Ergänzung von Brigittes Zeichnungen. Es erschien uns sinnvoll, die Zeichnungen um den Prozess, in dem sie entstanden sind, zu ergänzen. Gerade weil die Zeichnungen in ihrer Form so abhängig von den Wegen waren, auf denen sie entstanden, fanden wir die Idee, auch diese Wege in einer filmischen Form erfahrbar zu machen, zwingend. Dass diese Videos ihre eigene ästhetische Qualität haben und kein Fernsehfeature sein sollten, nach dem Motto „Wie macht die Künstlerin das denn?“, war uns von Anfang an klar.
Was hat sich für dich seit dem letzten Jahr verändert?
Fast alles. Ich kann keinen befreundeten Menschen in den Arm nehmen, erlebe viel weniger, das soziale Umfeld ist auf ein rituelles Spazierengehen mit den engsten Freunden heruntergefahren, es gibt wenig kulturellen Input, den ich live erleben kann. Das Gefühl für meine Studierenden an der Filmhochschule wird durch andauernde digitale Konferenzen mit Teilnehmern in Briefmarkengröße immer schwächer. Ich erlebe meine Mitmenschen und mich als nachhaltig verhindert. Zum Glück habe ich eine Frau, eine Tochter, also eine kleine Familie, in der soziales Leben weiter möglich ist. Dafür bin ich äußerst dankbar.
Was kann nur die Kunst in der Krise?
Das weiß ich nicht! Ich hoffe, dass sie überlebt! Im Moment sind wir in einem Überlebensmodus, der die Möglichkeiten von Kunst massiv beschneidet. Aber das macht den Menschen doch aus, jenseits des nackten Überlebens, dass er zu Kultur fähig ist und sie zu seiner Sinndeutung benötigt! Um eine Zeile eines Liebesgedichts von Erich Fried abzuwandeln: Nicht Nichts ohne Kunst, aber nicht viel mehr.
Tom Fährmann, geb. 1956 in Duisburg, lebt und arbeitet in München. Zunächst studierte er Kunst und Katholische Theologie für Lehramt in Münster, dann absolvierte Fährmann ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, welches er 1987 abschloss. Über fast dreißig Jahre hinweg arbeitete Fährmann sodann als freier Kameramann und Fotograf. Er übernahm die Bildgestaltung bei Kinofilmen von Regisseuren wie Volker Schlöndorff, Sönke Wortmann, Nico Hofmann u.v.a.m. Daneben fotografierte er freie Projekte, hatte zahlreiche Ausstellungen und publizierte einige Fotobücher. Er errang für seine Bildgestaltung den Bayerischen Filmpreis, den Deutschen Kamerapreis und zahlreiche Nominierungen, darunter zum Deutschen Kamerapreis, zum Golden Frog der Camerimage und zum Europäischen Filmpreis. Fährmann ist seit 2015 geschäftsführender Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und leitet dort die Abteilung für Bildgestaltung mit den Schwerpunkten Kamera und Visual Effects.